Die Initiative von Weddinger Bürgerinnen und Bürgern für verantwortungsvollen und kreativen Umgang mit geschichtlichem Erbe im Afrikanischen Viertel - unabhängig, überparteilich, interkulturell.

Am 23.12.2015 veröffentlichte die I.PAV folgende Pressemitteilung:

Pressemitteilung #PAV-1-12/2015, 23.12.2015

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Initiative Pro Afrikanisches Viertel (PAV) überrascht zum Jahreswechsel mit undogmatischem

Vorschlag zur Umbenennungsdiskussion im Afrikanischen Viertel:

„Umbenennung“ der Lüderitzstraße nach Hafenstadt Namibias

(statt wie bisher nach dem Großkaufmann und Kolonialpolitiker Adolf Lüderitz)

und des Nachtigalplatzes nach dem Theologen/Schriftsteller Johann Nachtigal

(statt wie bisher nach dem Afrikaforscher und Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal)

In der festgefahrenen Diskussion über das Pro und Contra möglicher Straßen-Umbenennungen im Weddinger 'Afrikanischen Viertel', das diese semi-offizielle Bezeichnung wegen der Straßen- und Platznamen mit Afrika-Bezug hat, schlägt die Bürger-Initiative Pro Afrikanisches Viertel zum Jahreswechsel vor, die Debatte im Neuen Jahr unideologisch zu gestalten. Es sollte nach Lösungen gesucht, mit denen sowohl die Interessen der Anwohnerschaft von Straßen und Plätzen mit umstrittenen Namen berücksichtigt werden als auch Initiativen anfreunden könnten, die sich bezirksübergreifend an Diskussionen historisch belasteter Namen im Berliner Straßenbild beteiligen.

„Es gibt den Gegensatz von historischem Bewusstsein und praktischen Anwohnerinteressen nicht in der oft behaupteten Weise. Auch die Anwohnerschaft ist sich der Schatten des kolonialen Erbes bewusst. Im Gegenteil gibt es in unserer Initiative das starke Argument, dass das einfache Verschwinden umstrittener Straßennamen aus dem Stadtbild nicht die Notwendigkeit nach einer grundsätzlichen Diskussion um das Erbe des ehemaligen Kolonialmacht 'Deutsches Reich' erspart“, erläutert für den PAV-Vorstand der Weddinger AV-Anwohner Johann Ganz. „Solche Schlussstrich-Initiativen sind nie sinnvoll, auch nicht in bester Absicht!“, ergänzt Johann Ganz seine Empfehlung, die Debatte neu aufzustellen und 2016 so konstruktiv zu führen, dass sie Modell für andere sein könne.

Da gute und bürgernahe Politik aber immer auch den Ausgleich von Interessen zum Ziel haben sollte, schlägt die PAV nun auch als konkreten Kompromiss in der aktuellen (Um-)Benennungs-Diskussion vor, zwei Bezeichnungen namens-neutral (und damit auch kostenneutral für die Anwohnerschaft und Firmen mit Sitz an entsprechendem Ort) zu ändern, nämlich für die Lüderitzstraße und den Nachtigalplatz.

Das bewirke, dass man nicht mehr über bestehende oder fehlende Akzeptanz der bisherigen Namensgebung streiten müsse und Diskussion künftig stärker lösungsorientiert und ohne gegenseitige Unterstellungen und Schuldzuweisungen geführt werden könne, betont der Weddinger Nikolas Gehringer, den genau dieser Wunsch zur Initiative Pro Afrikanisches Viertel brachte.

Historiker Hans Berg betont für die PAV, dass dieses Verfahren die Möglichkeit erschließe, die kritisierte Würdigung von Personen aufzuheben, mit deren von der Kolonialzeit geprägter Weltanschauung niemand ernsthaft mehr übereinstimme, ohne sich deshalb die notwendigen Debatten über die Kolonialpolitik des Kaiserreichs durch Tilgung von Straßennamen zu ersparen. Er empfiehlt, die in weiten Teilen unhistorisch und zeitweise auch demagogisch geführte Debatte durch eine sachorientierte zu ersetzen, für die man dann auch Bürger/innen interessieren könne, die von dogmatisiertem Streit abgeschreckt würden.

Die PAV-Sprecherin Karina Filusch sieht für die PAV in der namensneutralen Umbenennung der Lüderitzstraße und des Nachtigalplatzes einen praktikablen und in Teilen schon einmal bewährten Kompromiss, der die Diskussion von Ideologisierung befreie, die niemandem und am wenigsten dem sensiblen Thema dienten. Ergänzend schlägt die junge Juristin als dialogfördernde Maßnahme vor, die Wege des im Afrikanischen Viertel gelegenen Dauer-Kleingartenvereins, der ebenfalls einen Namen mit Afrika-Bezug führt ('Togo'), nach bedeutenden afrikanischen Persönlichkeiten* zu benennen, die internationale Auszeichnungen erhielten – auch und besonders für ihr Eintreten gegen Rassismus/Apartheid, Kolonialismus und für Demokratisierung der Länder Afrikas, alles bis heute aktuelle Themen.

Die PAV will entsprechende Benennungsinitiativen auf den dafür vorgesehen Entscheidungsweg der bezirklichen Gremien bringen und im kommenden Jahr eine sachorientierte, undogmatische Debatte über diese Benennungs-Vorschläge im Bezirk anzustoßen, zumindest für die Namen der (unten genannten) verstorbenen Nobelpreisträger.

Hintergrund:

Die im so bezeichneten Afrikanischen Viertel vergebenen Erst-Benennungen von Straßen und Plätzen mit Namen geografischer Orte und nach Personen mit Afrika-Bezug erfolgten, anders als von manchen vermutet, zu unterschiedlichen Zeiten und Anlässen: ab 1902 im Kaiserreich, viele Benennungen in der Weimarer Republik sowie zuletzt am 8.10.1958.mit der Ghanastraße: Sie entstand als Straße 21 und Straße 21c des B-Plans im Rahmen der der weiteren Neubebauung im AV und erhielt als bisher letzte Straße ihre Bezeichnung nach dem gleichnamigen afrikanischen Land. Anlass hierfür war 1958 der Staatsbesuch des damaligen ghanaischen Staatsoberhaupts Kwame Nkruhma in Berlin.

Für die Lüderitzstraße schlägt die PAV vor - in Anlehnung an die zuletzt erfolgte Erstbenennung der Ghanastraße - im Zuge einer 'namensneutralen Umbenennung' (auch eine 'Umwidmung der Ehrung ist formal eine vom Bezirk zu beschließende Umbenennung) nicht mehr die Person Lüderitz zu würdigen, sondern die namibische Hafenstadt Lüderitz. Für die Hafenstadt Lüderitz entschied man sich in Namibia in einer ähnlich gelagerten Umbenennungs-Diskussion vor Ort aus verschiedenen Gründen nicht für eine Umbenennung. Dabei wurde unter anderem das interessante Argument angeführt, dass die namibische Hafenstadt inzwischen eine eigene, vom ursprünglichen Namensgeber unabhängige Namensidentität geschaffen habe.

Für den Nachtigalplatz schlägt die PAV vor - in Anlehnung an das 1986 für die Petersallee durchgeführte Verfahren - ebenfalls ein namensneutrales Umbenennungsverfahren einzuleiten, das zum Ziel haben soll, nicht mehr den Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal zu würdigen, sondern künftig den gleichnamigen Theologen und Schriftsteller Johan Karl Christoph Nachtigal (1753-1819), der unter anderem 1800 die erste Sagensammlung mit wissenschaftlichem Anspruch veröffentlichte - unter folgendem Titel und Pseudonym: 'Volcks-Sagen. Nacherzählt von Otmar.'

Die PAV tritt ein für eine ideologiefreie bezirkliche Namens-/Benennungsdiskussion über das Afrikanische Viertel sowie für einen verantwortlichen Umgang mit Geschichte, der nicht schematisch und kontraproduktiv Anlässe für notwendige Diskussionen darüber tilgt und regt an, nach Möglichkeiten zu suchen, auch außerhalb der einengenden Straßennamen-Diskussion, bekannte und international anerkannte Persönlichkeiten der jüngsten afrikanischen Vergangenheit im und um das Afrikanische Viertel herum zu ehren und damit auch positive Veränderungsprozesse im Blick auf diesen Kontinent deutlich werden zu lassen, zum Beispiel durch entsprechender Bezeichnung der Wege in dem Dauer-Kleingartenverein 'Togo'.

Für diese von der PAV angestrebte Benennungs-Initiative der Wege in dem Dauer-Kleingartenverein Togo regt PAV-Sprecherin Karina Filusch an, Trägerinnen und Träger des friedens- und des Literatur-Nobelpreises zu ehren, die mit der Verleihung dieser Preise an sie sämtlich auch für ihr Eintreten gegen Rassismus bzw. Apartheid und für Ihre Haltung zum Erbe der Kolonialzeit gewürdigt wurden - wie etwa der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1986, Wole Soyinka (*1938, Nigeria) und die Literaturnobelpreisträgerinnen der Jahre 1991, Nadine Gordimer (1923-2014, Südafrika) und des Jahres 2007, Doris Lessing (1919-2013, Südafrika), ebenso wie etwa die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2004, Wangari Maathai  (1940-2011, Ghana) oder die  Friedensnobelpreisträger des Jahres 2001, Kofi Annan (*1938, Ghana), des Jahres 1993, Nelson Mandela (1918-2013, Südafrika), des Jahres 1984, Desmond Tutu (*1931), oder des Jahres 1960/61, Albert John Luthuli (1898-1967, Südafrika).

Auf Initiative der I.PAV brachte die CDU-Fraktion Mitte am 18.02.2016 folgenden Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein:

Änderungen zur Würdigung bzw. des Gedenkens durch Straßen-/Platznamen im Afrikanischen Viertel des Bezirks Mitte von Berlin

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen: 

1.      In Übereinstimmung mit der vielfach gewünschten historischer Würdigung der heutigen Sichtweise auf seinerzeit in Kolonien geschehenes Unrecht künftig im Afrikanischen Viertel des Bezirks Mitte von Berlin die mit Straßennamen gewünschte jeweilige Würdigung inhaltlich und unter Beibehal­tung der vorhandenen Straßen- und Platznamen für folgende zwei Straßennamen zu verändern:

 

a.       Der Nachtigal-Platz würdigt künftig den Theologen und Schriftsteller Johann Karl Christoph Nachtigal (statt den bisherigen Namens Gustav N.), in Anlehnung an die Umwidmung des Gedenkens in der Petersallee, ebenfalls vom Bezirk beschlossen (und durchgeführt 1986).

 

b.      Die Lüderitzstraße würdigt künftig die gleichnamige Küstenstadt in Namibia, passend zu den weiteren Straßennamen des Afrikanischen Viertels, die Städte Namibias ehren, wie etwa Swakopmund und Berlins namibische Partnerstadt.

 

2.      Das Bezirksamt wird ersucht, geeignete Schritte zu unternehmen, um eine Bezeichnung der Gartenwege in der Dauer-Kleingartenverein 'Togo' nach bedeutenden Städten/Landmarken (Flüsse/Höhenzüge o.ä.) Togos zu bezeichnen - wie zum Beispiel Lomé-Weg, Kara-Weg, Sokodé-Weg).

 

3.      Das Bezirksamt wird ersucht, geeignete Maßnahmen zu treffen, um

a.       mit Hinweisen im Straßenbild wie auch mit Veranstaltungen sowohl auf Geschehnisse und Hintergründe unterschiedliche Epochen afrikanischer und europäischer Geschichte verwei­senden Informationen zu vermitteln und zugleich

b.      Wandlungsprozesse in diesen Ländern, bzw. in den afrikanisch-europäischen Beziehungen zu dokumentieren und darüber hinaus

c.       die über Berlin hinausreichende Bekanntheit des Afrikanischen Viertels positiv zu nutzen, um über die heutige Lebenswirklichkeit und kulturellen Reichtum der mit den Straßennamen des Afrikanischen Viertels gewürdigten Regionen in geeigneter Weise zu informieren.

Begründung:

 

Die Benennungen der Straßen und Plätze im Afrikanischen Viertel stammen aus unterschiedlichen (zeitgeschichtlichen) Epochen Deutschlands und würdigen/verweisen deshalb auch in unterschied­licher Weise und auf unterschiedliche Kategorien biographischer und geographischer Bezüge Deutschlands zu den jeweiligen Straßennamen. Diese unterlagen und unterliegen weiter ein, nach kolonialen politischen Veränderungen in Afrika und können, wobei es nicht sinnvoll ist, diese jeweils mit Straßenumbenennungen nachzuvollziehen. Es aber sehr sinnvoll erscheint, diese in anderer, geeigneter Form bekannt zu machen. So verstanden können auch Umwidmungen des Gedenkens unter Beibehaltung der Straßennamen, gerade positive Veränderungen hervorheben und erinnernd dokumentieren. Gleichzeitig vermeidet diese Herangehensweise eine ausschließlich rückwärts­gewandte und auf die Kolonialgeschichte rekurrierende Würdigung europäisch-afrikanischer (und zum Beispiel deutsch-namibischer) Beziehungen eine Verfestigung überkommener Stereotypen und eröffnet Chancen der verstärkten Wahrnehmung für die Entwicklung des demokratischen Afrikas im Allgemeinen, bzw. Namibias im Besonderen. 

In diese Bemühungen sollte das ganze Afrikanische Viertel einbezogen sein dürfen, wie etwa mit der vorgeschlagenen Bezeichnung der Garten-Wege in der Dauer-Kleingartenverein `Togo` des Afrikanischen Viertels. Überdies stellen Veranstaltungen im Afrikanischen Viertel eine besondere Chance auch für n Berlin ansässige Botschaften dar, ihre Länder aus aktueller Sicht zu präsentieren. 

Die Umwidmung des Gedenkens greift die bewährte Vorgehensweise dem Jahre 1986 bezüglich der Petersalle aus auf.

 

Reschke

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